Supersommer I

Relativ mittig in Deutschland, bei Bad Hersfeld. Richtig gelesen: nicht mal in dem Kaff, sondern außerhalb, in einem Dorf, dessen Name unbekannt ist. Mir zumindest. Nur den eines Nachbardorfes kenne ich: Aua. Da schmerzt bereits das Lesen des Ortsschildes.
Bad Hersfeld kennen viele wohl eher vom Durchfahren nach oder von Leipzig, die örtliche Raststätte findet desöfteren Erwähnung. Doch die Stadt hat auch einen Bahnhof, ist gar ICE-Halt, nur anderthalb Stunden von Fankfurt/Main entfernt.
In solche Gegenden treibt es einen natürlich nur beruflich. Betulich ist es hier, und man wundert sich, dass die Leute nicht Bayerisch reden. Irgendwie erwartet man das, und ist jedes Mal enttäuscht, wenn einer der Einwohner den Mund öffnet.


Der von mir angekündigte Supersommer nimmt Gestalt an. Als ich am (bis dahin) heißesten Tag des Jahres spätabends verschwitzt in meine Wohnung komme, lechze ich nach einer kühlen Brise des Ventilators, der prompt kaputt ist. Verständlich, bei den Temperaturen würde ich auch nicht arbeiten wollen. Das macht nämlich wenig Spaß, wie ich beurteilen kann, weil ich wenige Stunden zuvor noch einen Messestand mit abgebaut und verladen habe. Das neue Modell, welches ich am Montag kaufe, ist dann was ganz Feines, klein zusammenklappbar und sogar als Ladestation für Smartphones lässt es sich nutzen. Von so etwas hat unsereins als Kind nicht mal zu träumen gewagt. Schön, wenn man es im Leben zu was bringt.


Die Musikauswahl von heute deswegen, weil ich schon mal leise andeuten will, dass ich zum Abschluss der Terrorgruppe nach Berlin zu reisen gedenke, nachdem mir der Besuch des Kölner Konzertes wegen akutem Inspanienbleibwillen unmöglich war. Und vor allem, weil ein Nachbar so freundlich war, meine äußerst schwergängige Wohnungstür mit Longboard-Fett zu behandeln, so dass ich sie endlich wieder sämtlichen Vertretern für Zeitungs-Abos, Stromverträge und Kinderrechte, die hier auflaufen, elegant vor der Nase zuwerfen kann.


Ich verabschiede mich dann jetzt mal in Richtung Pool. – Einer der Vorteile, wenn man in den Villen der Rockstars dieser Welt ein und aus geht.

Aus der Arbeitswelt

Ich bin gerade froh, nicht in den Alpen zu sein. Höchstens in den allerletzten Ausläufern derselben. Aber nicht dort, wo die Adler kreisen. Denn ein Vogel hat mir soeben auf meine Tastatur gekackt. So kam die Scheise nur von einer Meise oder Ähnlichem, weswegen sich das Problem überschaubar darstellt.
Meine erste Reaktion: Loskrähen, dass die Firma mir gefälligst eine neue Tastatur bezahlt. Ein Ansinnen, welches von der Geschäftsführung, die neben mir in der Hängematte schaukelt, abgelehnt wird. Wo ist die Gewerkschaft, wenn man sie braucht?

Diese kleine Anekdote mag so klingen, als stünde ich gerade unter massivem beruflichem Stress, aber dem ist nicht so. Es ist langes Wochenende, gegen Mittag haben so gut wie alle Einheimischen endlich den Campingplatz verlassen, so dass unsereiner seine Ruhe an den Ufern der Ardeche hat. Der Fluss ist bunt, weil bunte Kanus auf ihm dahingepaddelt werden, aber besser dieses Bunt als das Bunt eines Chemieunfalls. Und es sind auch nicht mehr so viele Kanus wie an den Tagen zuvor, als man trockenen Fußes hinüber ans andere Ufer hätte gehen können. Immerhin weiß ich jetzt, was man unter einer Schiffsbrücke versteht.

Im örtlichen Intermarché hat die Zukunft der Arbeit bereits begonnen: Die Kassenkraft ist nur noch dafür da, Strichcodes über den Scanner zu ziehen; die Entgegennahme der Zahlungsmittel sowie die Rückgabe des Wechselgeldes erledigt eine Maschine. Wie bei den supermodernen Versandlagern: Menschen sind nur noch vonnöten, weil das Ingenieurswesen immer noch keine vernünftigen Roboterarme hinbekommen hat. Da reden alle vom Transhumanismus, der Erweiterung des Menschen durch Technik, dabei ist es mittlerweile genau umgekehrt, der Mensch dient als biologische Komponente, wo Technik noch nicht fortgeschritten genug ist. Und natürlich als derjenige, der Dinge bezahlen muss, damit die Technik auch was zum Verkaufen hat. Fragt sich nur, woher der Mensch dann demnächst das Geld fürs Bezahlen nimmt.

Lagunenstadt mit sieben Buchstaben

Venedig, Stadt der Treppen. Treppauf, treppab quert man von Brücken überspannte Kanäle, folgt Schildern, die dezent den Weg zu den wichtigsten Orten weisen, übersieht sie zwischendurch, verirrt sich, stapft die Stufen der nächsten Brücke hoch und auch wieder hinunter. Umgeben von anderen Fußgängern, von denen einige Sackkarren schieben, ziehen und zerren, auf denen sich Koffer von Touristen befinden, oder allerlei, was von einem Lastenkahn zu einem Haus geschafft werden muss.

Es gibt hier keine Autos. Und auch keine Elektroroller. Und ebenfalls keine Fahrräder, was dem Begriff „Amsterdam des Südens“, als das Venedig oft bezeichnet wird, etwas die Luft aus den Reifen lässt. Man geht sicher wie im Mutterleib und muss lediglich aufpassen, nicht versehentlich in eine Gracht (die hier „canal“ genannt wird) zu fallen. Und die örtlichen Fast-Food-Kuriere fahren selbstredend nicht Rad, sondern tragen die Isoliertasche per pedes durch die Gassen.

Dafür gibt es Boote. Wassertaxis. Wasserbusse. Und die Schiffe der Abfallentsorgungsbetriebe, quasi Mülleimer-Böötche. Ein Blick auf die Decks der Paketboote zeigt, was die Venezianer sich liefern lassen. Familien fahren mit dem eigenen Motorboot spazieren oder zu anderen Inseln der Lagune, weil sie beispielsweise zum Strand oder Verwandte auf dem Friedhof besuchen wollen, der seine ganz eigene Insel hat.

Unsereins, der eigentlich nur in den Süden fährt um dort billig Kaffees aller Art in dafür geeigneten Restaurationen zu trinken, muss allerdings enttäuscht sagen: Dafür taugt Venedig nicht, es ist teuer. Die Preise für den Bohnensaft erreichen deutsches Niveau, übersteigen es gar.

Aber es gibt viel zu sehen. Was ja auch mal ganz schön ist.

Posterbirds

Der dumme August bewarb gestern im Rahmen einer eigens anberaumten Release-Party mit Livemusik seine zweite LP im Sonic Ballroom. Das Vinyl trägt den Namen „zwei“, enthält ein Poster, das man super hinhängen kann, einen Downloadcode, den man super ins Internet eintippen kann, und ist handnummeriert. Freunde der Zahl 249 muss ich allerdings enttäuschen – die habe ich schon. Bin aber für Gebote aufgeschlossen.

Ansonsten ein Ereignis wie aus der guten alten Zeit: ankommen, an der Kasse außer dem Ticket nichts vorweisen und dabei Leuten ins Gesicht sehen. Das macht alles wirklich viel leichter; die elende Schlepperei, was Impfnachweise und Masken angeht, ist jedenfalls momentan vorbei. Bis zum nächsten Killermutantenvirus, aber das ist ja bereits angekündigt.

Krumen KW15/16

Mein privates, aus Solidarität mit meinem Girokonto erlassenes Gas-Embargo wird gerade auf die Probe gestellt. Ärgerlich, wenn man um fünf Uhr aufsteht, gedankenlos vor sich hin lüftet und irgendwann bemerkt, dass es kalt ist. Dafür bringt der Einkauf frühmorgens um acht die Beobachtung, dass um diese Zeit circa 50 Prozent der Supermarktkunden maskenlos unterwegs sind, während ansonsten immer nahezu alle den Lappen vor der Schnüss haben. So bleibt wenigstens etwas, worüber ich nachdenken kann, während ich die nächsten acht Stunden ein Telefon bewache. Ansonsten ist das Tagwerk bereits vollbracht, sieht man mal vom Der dumme August-Konzert am heutigen Freitagabend ab.


Das eigene Altern bringt es mit sich, dass auch die eigenen Eltern altern, und man beim Besuch bei ihnen mit hervorragenden Handy-Fotos von ihrer zukünftigen Grabstätte begrüßt wird. „Da liegen wir dann demnächst.“ Als dann noch erwähnt wird, dass der Liegeplatz bereits bezahlt sei („Damit du das weißt, falls wir beide gleichzeitig sterben.“), vertreibt auch das frühlingshafte Essen (weißer Spargel „klassisch“) den Hauch des Morbiden nicht wirklich.


Es gibt nichts Besseres, als hoch nach Mijas zu wandern, dort eine Chorizo-Semmel zu verspeisen und während dieser Jause auf den campo zu blicken. Oder aufs Meer. Oder die Berge. Oder, wenn man klug ist, auf alles gleichzeitig. Das denkt man sich zumindest, wenn man dort sitzt und in den campo schaut oder aufs Meer oder auf die Berge oder, wenn man schlau ist, auf alles gleichzeitig.

Das denkt man sich auch noch, wenn der Flieger nach drei Stunden Flug in den Niederungen des oberen Rheindeltas landet. Das denkt man sich vielleicht noch, wenn das Plattenladenpersonal einem erst den Kauf vorbestellter Ware verweigern will, mit dem Argument, man sei so ekelhaft braun, was in einem politischen Kontext meines Erachtens ein valider Grund wäre, aber nicht, wenn es um Menschenrechtsfragen wie Urlaub geht. Das denkt man sich dann schon weniger, wenn man anschließend mit anderen Menschen, die dieses Menschenrecht auf langen Urlaub ebenfalls zu schätzen wissen, in der Sonne sitzt und fachsimpelt. Und wenn man abends zur Begrüßung bekocht wird, denkt man sich, dass es hier doch auch sehr okay sein kann, zumindest in den sonnigen Jahreszeiten.

Schön, wieder daheim zu sein. Und ausspannen zu können, als Vorbereitung auf den Frankreich-Urlaub demnächst.

Zap 160 zum Zweiten

Kaum ist man mal einige Wochen weg, lungert’s schon auf der Fußmatte. Scholz-Content sowohl im neuen ZAP Hardcore Magazin (Seiten 18 und 19) als auch in dem Umschlag mit den neuen Geschäftsbedingungen eines Kreditinstituts (im Anschreiben). Und übrigens auch im nächsten Plastic Bomb Fanzine, die anderthalb Seiten liegen allerdings erst als noch zu druckendes PDF vor.

Hat-zi mein Schatzi!

Ich bitte zu entschuldigen, dass ich momentan nicht die Zeit finde, bei jedem, jeder und jed* in den Kommentarbereich des entsprechenden Postings etwas von guter Besserung, dass ich die Person in mein Gebet mit einschließe und der Verlauf doch bitte ein leichter sein möge, zu schreiben. Deswegen an dieser Stelle gesammelt: Ihr alle seid gemeint. Was macht Ihr denn auch für Sachen in Deutschland.

Ich befinde mich im Homeoffice in Sevilla, einer Stadt, die ohne Google Maps unbenutzbar ist. Ein Gewirr von Gässchen und kurvigen Sträßchen, an jeder zweiten Ecke ein Sakralbau, an jeder ersten Ecke etwas Gastronomisches mit Außenverzehr, vollgestopft mit Menschen, und das bis in die Nacht. Vermutlich, weil sie alle kein Google Maps auf dem Handy haben und deshalb nicht nach Hause finden.

Dann gibt es noch den Real Alcázar, eine Festung, einst von den Mauren gebaut und später von den Christen weiter aufgemotzt. Er ist bekannt für seine Pracht (sagt das örtliche Fremdenverkehrsamt), die, realistisch betrachtet, bloß gekachelt ist. Kacheln hier, Kacheln da, kommt man sich ein wenig vor wie im Baumarkt. Dazwischen dann fein ziselierte maurische Steinmetzkunst, die zwar wirklich schick anzusehen, ab dem zweiten Raum aber auch brechend langweilig ist. Es wird nicht alles besser, wenn man es ständig wiederholt.

Ich brüte weiter über Excel-Tabellen, siehe Foto. Im Hintergrund desselben übrigens die Plaza de España, wo Green Day 2019 mal live spielten, was man sich auf Youtube anschauen kann und was ich eigentlich nur erwähne, um ebenfalls erwähnen zu können, dass ich die Band in den Neunzigern mal vor wenigen hundert Leuten im Luxor zu Köln gesehen habe. Damals, vor der Pandemie.

Costa del Scholz III

Trommeln, Trommeln aus der Tiefe. Ich kam mir vor wie Balin einst in Moria. Schläge stiegen empor, bis hinauf in den vierten Stock. Da ich nicht erwartete, auf gruselige Orkhorden zu schauen, wagte ich einen Blick aus dem Fenster und sah eine größtenteils weibliche Trommelgruppe, gewandet in lila Leibchen. Die Anführerin trug ein Megaphon mit sich und Parolen vor, in denen es vermutlich um den gerade stattfindenden Weltfrauentag ging; jedenfalls war viel von mujeres die Rede. Und die örtliche Paradestraße entsprechend voll.

Das war mal was anderes. Nicht, dass getrommelt wurde, das tun sie hier gerne und oft. Zum Beispiel beim carnaval. Oder auch, wenn sie mal wieder in einer Prozession Heiligenstatuen durch weihrauchvernebelte Gassen tragen, so wie wenige Tage zuvor. Oder, wenn sie sich im parque zwischen den Palmen treffen, um für eines dieser Ereignisse zu üben. Aber dass mal aus anderen als folkloristischen Gründen getrommelt wurde, war auch mal schön. Wäre es nicht ausgerechnet vor meinem Appartement gewesen.

Die Tage darauf dann weiter auf Weltreise, etwa zwanzig Kilometer gen Westen. Torremuelle heißt der Ort und besteht aus geschmackvoll zugebauten Berglein am Meer. Keine großen Hotelbauten – okay, einen gibt es natürlich, quasi als Statussymbol –, sondern urbanizaciónes, in Deutschland würde man sagen: gehobene Vorstadt, Speckgürtel. Nur dass hier im Serranoschinkengürtel alle einen Pool haben und ein bis zwei Einliegerwohnungen, die sie an Urlauber vermieten.

Beschaut man das Wahrzeichen des Ortes, einen eher alten aber hässlichen Turm, merkt man wieder mal, wie einfach das Spanische doch ist. „Torre“ heißt bekanntlich „Turm“ und „muelle“ offensichtlich „Müll“. Dafür gibt es ein paar Felslein zum Draufhocken und einen reichhaltigen Supermarkt. Und Busse und Bahnen, mit denen man den Ort verlassen kann.

Frei nach der alten Weisheit „bewohne stets das hässlichste Hochhaus im Ort, dann musst Du es nicht ständig sehen“ (Konfuzius zugeschrieben), sitzt unsereins gerade fünf Kilometer weiter auf seiner nächsten Station im zehnten Stock mit phantastischem Meerblick, von dem gerade nicht viel zu sehen ist, weil Afrika in der Luft liegt.

Es riecht nach Sand und es verwundert nur wenig, dass die Afrikaner alle nach Europa rübermachen, wenn ihnen die halbe Sahara wegfliegt. Wie heißt es doch so schön? „Eine Hand voll Heimaterde nahm ich mit ins fremde Land.“

Und während ich versuche, die Regenjacke vom Wüstenschlamm zu reinigen, trommelt es ans Fenster des Wintergartens, in dem ich sitze. Diesmal aus der Höhe, nicht aus der Tiefe.

Costa del Scholz II

Mit dem Karneval ist es wie mit dem Fußball. Wer sich als Kind nicht dafür begeistert, ist seltsam, wer es als Erwachsener noch tut, hat keinen Verstand. Man schaue sich das Treiben doch nur einmal an: Seltsam Gekleidete benehmen sich befremdlich, hampeln herum und brüllen sinnloses Zeugs durch die Gegend. Und vom Karneval habe ich da noch gar nicht geredet.

Unsereins schüttelt da nur milde das weise Haupt und gönnt. Den Leuten ihr Feiern, selbst wenn es sich dabei um eine Art Zwangsjecke handelt. Sollen sie doch. Einundzwanzig war ein Jahr, in dem ich meine Ruhe hatte, jetzt wird halt wieder jefiert.

Am Aschermittwoch ist alles vorbei, denkt sich unsereins, und wäre mit der Einstellung besser mal daheimgeblieben, denn die málagueños feiern den carnaval bis einschließlich den Sonntag drauf. In der Altstadt steht an jeder zweiten Ecke eine Gruppe, die mehr oder weniger gekonnt Musik von sich gibt, und eine große Bühne steht bereit, wo dann irgendwelche Höppemützjer zu wummernden Technobeats tanzen. Glücklicherweise tun sie das erst zu einer Zeit, die der Spanier für Abend hält, ich aber für eine Zeit, um heim- und zu Bett zu gehen.

Ich drehe meine Runden, knietief in Konfetti watend, mit dem alle ständig um sich werfen, und als ich wieder an die große Bühne gelange, transvestiert da gerade jemand vor sich hin, ein Herr in Tütü springt mit einer Regenbogenfahne über die Bretter, und ich komme mir vor wie daheim beim CSD.

Vielleicht ist das ja das Geheimnis dieser Stadt: Sie ist eine Art Kleinköln an der Sonne. Ebenfalls ein etwas groß geratenes Kaff, nur am Meer statt am Fluss. Sogar eine unfertige Angeber-Kathedrale gibt es hier, an der man immerhin Jahrhunderte gebaut hat. Wie soll man sich als Kölner da nicht zuhause fühlen? Die unsrige wäre doch auch noch nicht fertig, wenn sich ihrer im 19. Jahrhundert nicht die Preußen angenommen hätten.

So betrachtet, hätte man eigentlich auch zuhause bleiben können.